Analyse

Die Angst vor dem Identitätsverlust

Die Kosovo-Albaner sind der Schweiz sehr verbunden. Wieso tun sich trotzdem viele von ihnen schwer mit der Integration? Dahinter steckt eine unbegründete Angst.


Sich selbst geblieben: Xherdan Shaqiri (Mitte) ist ein prominentes Beispiel für die gelungene Integration der Kosovo-Albaner in der Schweiz. (Bild: Wikimedia Commons, CC BY-SA3.0)

Von Ben Apolloni, Kosovo

Ben Apolloni ist Regisseur und Autor aus dem Kosovo. Er gehörte zur Gründungsgruppe des Medienprojektes #refujournalists und wohnte damals in Altstätten. Mittlerweile ist er in seine Heimat zurückgekehrt.


In den 1990er-Jahren leistete die Schweiz grossen Beistand für Kriegsflüchtlinge aus dem Balkan. Auch nach den Kriegsjahren herrschte in Ex-Jugoslawien eine existenzielle Krise. Die Menschen mussten sogar um ihr Brot kämpfen.

Die Ausgewanderten haben ihre Angehörigen vor dem Hunger bewahrt. Für die meisten dauerte die kritische Situation bis Ende der Neunzigerjahre, für andere ist sie noch nicht vorbei. Kosovo ist wirtschaftlich immer noch sehr labil und die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland ist vital für die Bevölkerung.

Die Albaner aus dem Osten von Kosovo sind der Schweiz sehr verbunden, nicht nur weil sie Sicherheit für die entflohenen Menschen bedeutet, sondern auch für deren Familien in der Heimat. Am Beispiel der albanischen Gemeinschaft in der Schweiz zeigen sich Zusammenhänge, die noch heute aktuell sind.

Integration heisst
Grenzen überqueren

Es gibt Menschen, die viele Kilometer zurückgelegt haben, um in die Schweiz oder andere europäische Länder zu gelangen und so ihren Familien aus der Not zu helfen. Bei allem, was sie erlebten, um ins «gelobte Land» zu kommen, haben sie ihre Sprache verloren.

Die Schweiz hat die Traumatisierten mit offenen Armen empfangen, hat aber Probleme bekommen im Umgang mit den Flüchtlingen, weil eine Kommunikation nicht möglich war.

Es ist paradox: Diese Menschen haben Grenzen überquert und schliessen sich nun in ihren Häusern ein, auch wenn das Gastland ihnen die Möglichkeit gibt, die Sprache zu lernen.

So wurde eine Integration schwierig, da die Sprache ein wesentlicher Teil der Integration ist. Wer die Sprache beherrscht, dem öffnet sich die Gelegenheit zu kommunizieren.

Der Mensch braucht die Sprache, um seine Ideen und Emotionen zu teilen.

Ein Mensch kann ohne soziales Verhalten nicht überleben. Oder wie der französische Schriftsteller Michel Houellebecq sagt: «Wir fangen an zu leben, wenn wir beachtet werden.»

Der Satz kann auf verschiedene Arten interpretiert werden, was aber sofort auffällt, ist: Wir brauchen den andern, um uns lebendig zu fühlen, um zu wissen, dass wir leben.

Die Integration ist
keine Assimilation

Viele Menschen haben die Integration missverstanden und sie als Risiko gesehen, sich zu assimilieren, also die eigene Identität zu verlieren.

Das ist eine falsche Einschätzung. Die Integration in die schweizerische Gemeinschaft hat nichts mit Assimilation zu tun.

Wer sich vor Assimilation fürchtet, der hat die Philosophie, die Grundsätze der Schweiz nicht verstanden. Der Grund für die erfolgreiche Entwicklung der Schweiz, wirtschaftlich, politisch oder kulturell, liegt in der Tatsache, dass die Schweiz das Gesetz respektiert. Ein Gesetz, das dem Föderalismus Raum bietet.

Das Land hat bewiesen, dass es jeden respektiert und jedem die Möglichkeit zu leben und zu arbeiten gibt, ungeachtet dessen, woher er kommt.

Vorbildliche Integration zeigt sich bei den Fussballspielern mit Migrationshintergrund in der Schweizer Nationalmannschaft. Immer konnten sie zu ihrem Namen und zu ihrer Herkunft stehen.

Sie sind kein Einzelfall. Die Schweiz hat tausendfach bewiesen, dass jeder, der den Willen hat, sich zu integrieren, auch den Schlüssel dazu in seinen Händen trägt.

Letztlich ist die Assimilation nur ein nationalistisches Konzept, aber nicht eigentlich von lebenserfüllter Bedeutung, weil ein Mensch überall ein Mensch bleibt und sich nicht in ein anderes Lebewesen verwandeln kann.


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