Zwar ist die Schweiz für Flüchtlinge so etwas wie ein «sicherer Hafen». Doch auch hierzulande sind noch längst nicht alle Unsicherheiten aus der Welt geschafft.

Von dem Moment an, da jemand seine Heimat verlässt, ist ein Teil von ihm fort und kehrt niemals zurück. Zerbrechlich entscheidet er sich für einen Neuanfang mit dem, was übrig bleibt: Einer Tasche und den Füssen am Boden. (Skulptur: Fragments von Bruno Catalano, Venedig, Italien, 2013. Quelle: brunocatalano.com)

Bisan Alkhatib, Gazastreifen

Man stellte mir die Frage wieder und wieder – wie bei einem Sprung in der Schallplatte: «Wieso seid ihr hierhergekommen?». Mit anderen Worten: «Wieso die Schweiz?»

Es gibt eigentlich viele Gründe, hierher zu kommen: Die bezaubernde Schönheit der Natur mit den atemberaubenden Landschaften; der luxuriöse Lebensstil im Herzen Europas; eine Chance auf dem Schweizer Arbeitsmarkt; die aufregenden Geschichten über die Vielfalt der Schweizer Kultur sowie Pünktlichkeit, Sauberkeit und wie alle die Regeln befolgen. Die schweizerische Neutralität und die direkte Demokratie hinterlassen einen Eindruck von mehr Freiheit und Sicherheit.

Der Elefant im Museum

Manch ein Einheimischer spricht seine Gedanken laut aus über «diese armen Drittweltbürger, die vor Kriegen geflohen sind oder Armut oder einer schlechten wirtschaftlichen Situation». Doch in Wirklichkeit war nichts davon der tatsächliche Grund, weshalb es uns in die Schweiz verschlug.

Die Schweiz war lediglich eines von mehreren Ländern, die humanitäre Visa ausstellen, so dass man nicht das Leben seines geliebten Kindes riskieren muss in den Armen von heimtückischen Flutwellen oder kriminellen Schleusern.

Hier ein Asylsuchender zu sein ist so, als wäre man der Elefant im Museum, wo neugierige Leute die verschiedensten Kleinigkeiten wahrnehmen aber es nicht schaffen, den Elefanten zu bemerken. Ich weiss nicht, ob sie es nicht bemerken oder ob es sie einfach nicht interessiert.

Die Bedeutung des N-Status

Der unklare N-Status mit seinen vielen Restriktionen ist nicht das einzige Hindernis. Die lange Zeit, die benötigt wird, um einen Asylantrag zu bearbeiten ist ein weiteres Kapitel dieser Geschichte.

Dabei wäre es doch eine Win-Win-Situation für beide Seiten, sowohl für die Regierung, die nicht noch mehr Asylsuchende will als auch für die Asylsuchenden, die wieder ein Gefühl von Wert in ihrem Leben spüren wollen und die Hoffnung auf ein Überleben, wenn schneller über ihre Anträge entschieden würde.

Das erste Jahr nach der Flucht mag die Gelegenheit zum Durchatmen sein, nach einem schweren Sturm. Doch für Inhaber eines N-Ausweises scheinen Dinge wie arbeiten, wohnen, Zukunftspläne zu verfolgen und auch sich zu integrieren schlichtweg unmöglich.

Das «N» steht wohl für «Nicht». Nicht klar, nicht willkommen, nicht anerkannt und nicht existent. Zuzuschauen, wie Jahre unseres Lebens vorbeiziehen wie vertrocknete Blätter im Wind, das ist so leblos.

Selbst wer das Privileg hat, als Flüchtling anerkannt zu werden, bleibt nach wie vor der Elefant im Raum. Ein anderer Flüchtling, der im Alter von zwölf Jahren mit seiner Familie hierherkam, erzählte mir, blind gewesen zu sein vor Freude in die Schweiz zu kommen. Doch die kindliche Vorstellung verflüchtigte sich bald, als er realisierte, dass er wie ein Mensch zweiter Klasse behandelt wird. Weil du als Kind von Ausländern auf die Welt gekommen bist, mit mehr oder weniger Melanin in deiner Haut, bis du ein Fremder und stehst unter Beobachtung.

Weshalb stört der Gedanke an verschiedenfarbige Gesichter auf der Strasse die Einheimischen derart? Ich wusste keine Antwort darauf.

Als ich im Gespräch mit einer Schweizerin erzählte, dass ich begierig sei, hier als Lehrerin zu arbeiten, machte diese ein überraschtes Gesicht.  Sie lobte meine Bereitschaft die Sprache zu lernen und einer Arbeit nachzugehen. Fügte dann aber hinzu, dass es das erste Mal sei, dass sie einem Flüchtling begegnet, der nicht auf der Strasse herumhängt mit dem Bedürfnis sich möglichst lange auf den Sozialstaat zu verlassen. Dann stellte sie in Frage, wie ich in meinem Heimatland überhaupt Lehrerin werden konnte. «Gibt es da Schulen und Universitäten?» wollte sie wissen. Da realisierte ich wie Asylsuchende schubladisiert werden: als ungebildete Sozialschmarotzer.

Auch manche Flüchtlinge grenzen andere aus

Diskriminierung passiert aber auf vielen Ebenen und in verschiedene Richtungen. So kann sie auch von anderen Flüchtlingen ausgehen: als Frau aus einer religiös geprägten Gesellschaft trug ich bei meiner Ankunft einen Hijab, der meine Haare bedeckte. Dadurch wurde ich für die Einheimischen zur Aussenseiterin. Aber an dem Tag, an dem ich beschloss, ihn zu entfernen, hörten viele der Asylsuchenden und Flüchtlinge, die ich für Freunde hielt, auf, mir Hallo zu sagen, in einigen Fällen verwandelte sich diese Freundschaft in Feindseligkeit. Ich dachte, ab dem Tag, an dem ich in die Schweiz kam, fänden die Nöte und die Diskriminierung ein Ende, denen meine Familie und ich – aufgrund anderer Mentalität, Religion und politischem Hintergrund – ausgesetzt waren. Offensichtlich war dem nicht so.

Vom Risiko, sich anderen zu öffnen

Sich Stereotypen zu bedienen, ist unsere natürliche Veranlagung. Dank Stereotypen kann unser Gehirn schnelle Einschätzungen im Hinblick auf Gruppenmitglieder machen. Wenn wir es aber damit übertreiben, kann dies unsere Entscheidungen negativ beeinflussen.

Wenn jemand das Risiko eingeht, offen zu sein für Andere, so wird sich etwas in seinem Inneren verändern. Derjenige wird definitiv bereichert. Wenn wir einen Schritt aufeinander zugehen, werden wir entdecken, dass unsere Gemeinsamkeiten uns zusammenführen. Es bietet uns die Chance Missverständnisse zu erkennen und sie neu zu interpretieren. Nämlich als kulturelle Vielfalt, gegenseitiges Verständnis und ein Nebeneinander. Integration benötigt Akzeptanz und Anstrengung von beiden Seiten, von Flüchtlingen und Einheimischen.

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