Flüchtlinge, die es schaffen, lebend in der Schweiz anzukommen, stehen direkt vor der nächsten Problem. Sie müssen sich nicht nur integrieren sondern auch gegen zahlreiche Vorurteile kämpfen.

«Flüchtlinge belasten unser öffentliches Sozialsystem», ist ein Vorurteil, das häufig zu hören ist. (Bild: Fotolia)

Mahmoud Alkhatib, Gazastreifen

Würden wir die grossen Werke der Weltliteratur für die heutige Zeit umschreiben, so hiesse es für Hamlet: «Integrieren oder nicht integrieren, das ist hier die Frage». Wahrscheinlich existierte diese Frage bereits lange vor Hamlet, bevor Othello die Hand von Desdemona küsste, ja sogar bevor die Ägypter ihre grössten Pharaonen mumifizierten. Schliesslich ist der Mensch doch ein soziales Tier.

Die Flüchtlingskrise ist ein zentrales Thema in der heutigen Politik und sie birgt einige Risiken wie auch Chancen; sie offenbart so einiges und verschleiert dennoch vieles. Zunächst einmal ist auf den Grund des Mittelmeeres zu sinken nicht das einzige Risiko. Grosse Gefahren sind auch körperlicher, psychischer und sexueller Missbrauch durch Schlepper und andere Beteiligte sowie illegaler Organ- und Menschenhandel.

Auf die beschwerliche Flucht folgt die Stigmatisierung als unproduktiv und ungebildet, als Belastung für die Wirtschaft, gar als Parasiten, die das Sozialsystem aussaugen würden. Solche Überzeugungen sind manchmal zu hören, doch «Überzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit, als Lügen», wie Friedrich Nietzsche schrieb.

Hinterwäldler wie wir

Wenn ein Flüchtling in der Schweiz ankommt, wird er in einem Asylzentrum untergebracht, dessen Zweck es ist, die Flüchtlinge auf das Gesellschaftsleben vorzubereiten, indem Sprachkurse angeboten und Einblicke in kulturelle Aspekte des Landes vermittelt werden. Die Zeit, die ein Flüchtling in einer Flüchtlingsunterkunft verbringen muss, variiert von Wochen bis hin zu Jahren. Es hat nichts mit den Qualifikationen und Fähigkeiten oder mit dem Willen zur Integration zu tun. In den Augen mancher liegt es in Gottes Hand, für andere wirkt es wie eine blosse Lotterie.

«Es hat nichts mit den Qualifikationen und Fähigkeiten oder mit dem Willen zur Integration zu tun.»

Ich war fünf Monate lang im Zentrum Sonnenberg bei Vilters. Die ersten Schritte sind besonders problematisch und manchmal fühlt es sich an, als ob man durch ein Minenfeld geht. Der allererste Schritt ist das Erlernen der Sprache. Es wurde davon ausgegangen, dass man ungebildet ist und im Zentrum waren die Ressourcen sehr begrenzt, daher waren nicht immer geeignete Ausbildungsmethoden vorhanden. Eine Person, die die Sprachkenntnisse schnell verbesserte, musste in der gleichen Klasse und auf dem gleichen Niveau bleiben wie die Nachzügler.

Die Situation in den Gemeinden ist manchmal noch chaotischer. Während einige Gemeinden, wie die, in der ich mich jetzt befinde, einem sechs Stunden Deutschunterricht pro Woche anbieten, berichten meine Freunde, dass sie nur eine Stunde Deutschunterricht in der Woche bekommen.

Drückeberger wie wir

Mehr als einmal wurde ich mit der allgemeinen Vorstellung konfrontiert, dass Asylsuchende oder Flüchtlinge nicht bereit sind, zu arbeiten. Während das bei einigen Flüchtlingen vielleicht stimmt, trifft es auf andere nicht zu und es ist nicht fair, zu verallgemeinern, ohne die Gegebenheiten im Hintergrund zu berücksichtigen.

Das grösste Hindernis für die Arbeitsintegration ist das System selbst. Als Inhaber einer N-Ausweises für Asylsuchende darf ich theoretisch arbeiten. In der Praxis sind die Voraussetzungen jedoch kaum gegeben. Bei einer freien Stelle gilt der Inländervorrang (was für die Wirtschaft gut ist), falls nicht, so bevorzugen Arbeitgeber EU-Bürger, oder zumindest Inhaber einer C-, B- oder F-Bewilligung. Da bringt mir auch mein Universitätsabschluss nichts, zumal dieser noch nicht einmal anerkannt wird.

Schweizer Staatsbürgern bei der Stellenbesetzung den Vorrang zu geben, ist für die Wirtschaft eine gute Sache. Aber diese Situation lässt Arbeitgeber zögern, eine Person mit N-Ausweis einzustellen. Und bei Zehntausenden von Menschen mit diesem N-Status «Asylsuchend» ist es doch wirtschaftlich ineffizient, ihre Beschäftigung so weit hinten anzustellen.

Das neue Asylgesetz von 2019 mit seinen beschleunigten Verfahren, verkürzt die Zeitspanne, in der eine Person den Status N tragen muss. Dies ist zwar eine Verbesserung, aber das neue System gilt nicht für die Asylsuchenden, die vor März 2019 in die Schweiz gekommen sind. So viele von ihnen müssen teils mehrere Jahre warten, bis sie einen Entscheid über ihr Asylgesuch erhalten. Das bedeutet mehrere Jahre Arbeitsunfähigkeit, ohne Recht auf Integration.

Von aussen betrachtet, mag es so aussehen, als wollten diese Personen nicht arbeiten. Aber dieses lange Warten ist für viele Menschen nicht nur eine Verschwendung von Leben und Talent, sondern auch eine Belastung für die Wirtschaft, die durch das Asylgesetz selbst geschaffen wurde.

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