Der St.Galler Regierungsrat Fredy Fässler befasste sich in seinem Amtsjahr als Regierungspräsident mit «dem Fremden». Dazu zählt auch der Rassismus, den man nur bekämpfen könne, wenn man darüber spreche.

Auch Teilnehmende des Projektes #refujournalists waren schon rassistischen Anfeindungen ausgesetzt. Der St.Galler Regierungsrat Fredy Fässler spricht sich für Begegnungen aus – und lässt sich von einem Geflüchteten interviewen. Bild: Christopher Eggenberger

Fadi Hassaneen aus Syrien

Herr Regierungspräsident, gibt es denn heute, im 21. Jahrhundert, überhaupt noch Rassismus?

Fredy Fässler: Leider Gottes gibt es immer noch Rassismus – auch in der Schweiz. Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus sammelt entsprechende Vorfälle systematisch und schaltet sie im Internet auf. Doch die Liste ist wohl kaum vollständig.

In welcher Form äussert sich Rassismus? Gibt es Fälle im Kanton St.Gallen?

Als wir im Mai 2015 in Amden über die geplante Eröffnung eines Asylzentrums informierten, herrschte dort eine extrem aggressive Stimmung. Einzelne Anwesende sprachen dermassen hasserfüllt über Menschen, die sie nicht einmal kennen. Das hat mich wirklich erschreckt. Der Betrieb läuft übrigens bisher problemlos. Ein zweites Beispiel ist das Konzert, welches vor zwei Jahren in Unterwasser stattfand, an das rund 5000 Rechtsextreme kamen. Was geht in einem Menschen vor, wenn er 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wieder den Hitlergruss zeigt?

Was glauben Sie?

Ein rassistisches Weltbild hängt oftmals mit einer zugrunde liegenden persönlichen Frustration oder Angst zusammen. Meistens hat sie also weniger mit dem Stein des Anstosses zu tun als mit dem Innenleben der Person selbst, die dann aggressiv reagiert. So wird das Fremde zur Projektionsfläche für Hass.

Ihr Amtsjahr als Regierungspräsident steht unter dem Motto «Was macht das Fremde mit mir?».

Ich hatte mich im Vorfeld gefragt, welche Dinge mich in den vergangenen fünf Jahren am meisten beschäftigten. Mir kamen verschiedene Situationen in den Sinn, in denen ich mich unsicher fühlte. Sie alle hatten gemeinsam, dass sie mir fremd waren. Ich hatte also keine Erfahrungswerte und wusste nicht so recht, wie ich damit umgehen soll. Unter anderem thematisieren wir Transsexualität, Demenz oder Leihmutterschaft.

Und auch Rassismus ist ein Thema. Weshalb ist Ihnen der Dialog darüber ein Anliegen?

Gerade wenn in unserem Kanton 5000 Leute mit dem Hitlergruss auftreten, wird es für mich umso mehr zu einer wichtigen Aufgabe. Es muss klar sein: So geht es nicht. Hierzu will ich deutlich Stellung beziehen und wo ich kann einen Beitrag leisten, so dass man über Rassismus spricht.

«Ein rassistisches Weltbild hängt oft mit einer zugrunde liegenden persönlichen Frustration oder Angst zusammen.»

FREDY FÄSSLER, St.Galler Regierungsrat

Was können wir im Alltag tun?

Wir können eben dies tun: darüber sprechen. Offen mit der eigenen Unsicherheit umzugehen, ruft meiner Erfahrung nach Offenheit beim Gegenüber hervor. Selbst das Weltbild eines Rassisten muss nicht in Stein gemeisselt bleiben. Aber man muss ihn bearbeiten.

Was kann die Politik gegen Rassismus und Diskriminierung tun?

Von gesetzlicher Seite her mag die Rassismus-Strafnorm nötig sein. Aber mit Bestimmungen des Strafgesetzbuches allein lassen sich gesellschaftliche Fehlentwicklungen nicht korrigieren. Man muss mit Präventionsmassnahmen dagegen vorgehen. Eine von vielen Möglichkeiten ist die laufende Veranstaltungsreihe, die auf den Dialog abzielt.

Waren die politischen Bemühungen in den vergangenen Jahren ausreichend?

Grundsätzlich macht die Schweiz vieles richtig. Das mag wohl auch an der traditionellen Vielfalt des Landes liegen. Man hat Erfahrung damit, sich zu arrangieren. Allerdings ist in den vergangenen Jahren das Thema Rassismus tatsächlich etwas stärker in den Fokus gerückt. Dies hängt mit der grossen Anzahl Asylsuchender zusammen,die in kurzer Folge in die Schweiz gekommen sind. Und wenn nun Einzelne den Immigranten signalisieren: «Am liebsten hätten wir, du wärst gar nicht da», dann ist das nicht nur eine unmenschliche Haltung, es verhindert auch die Integration.

Drohen uns nun Zustände wie etwa in Deutschland, wo Asylunterkünfte angezündet wurden?

Die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung geht relativ entspannt mit dem Thema der Flüchtlinge um. Anstelle von Ablehnung sind zum Teil grosse Zeichen der Solidarität gesetzt worden. Aggressiven Reaktionen muss man entgegentreten und am sinnvollsten macht man das, indem man Begegnungen ermöglicht. Ich stelle oftmals fest: Ablehnung gegen über Ausländern ist dort das grösste Problem, wo es gar keine Ausländer hat. Wenn die Leute es mit einzelnen Menschen zu tun bekommen und nicht mehr mit anonymen Massen, den «Flüchtlingsströmen», dann ist die übliche Reaktion meistens anders herum. Integration ist keine Einbahnstrasse. Sie setzt auch die Bereitschaft von uns, die wir hier leben, voraus, Leute, die zu uns kommen, bei aller Verschiedenheit zu respektieren, zu akzeptieren und sie an unserem Leben teilhaben zu lassen.

Dieser Artikel ist erstmals am 21. März 2018 im «Rheintaler» veröffentlicht worden.

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